10. Okt.-15. Nov. 2015

                                                                 

 MATHIAS HORNUNG
„Tartan Reloaded“


Holzreliefs|Farbholzschnitte | Skulpturen


GALERIE
Z22
Eröffnung: Samstag, 10. Oktober 2015


In seiner neuesten Serie zeigt Mathias Hornung quadratische Formate mit sich kreuzenden Linien in Holz und auf Papier, in denen er das abstrakte Prinzip des bekannten schottischen Karomusters vom gewebten Stoff auf sein künstlerisches Material überträgt.

Das mit der Tracht schottischer Highland-Clans assoziierte Muster ging aus einer der ältesten Webtechniken der Menschheitsgeschichte hervor: Im rechten Winkel kreuzen sich Kett- und Schussfaden, dekorative Effekte entstehen nur durch farbliche Variation der Fäden. Charakteristisch für den Tartan ist nun sowohl die präzise Wiederholung der Farben und Rhythmen  vertikal und horizontal, als auch, dass sich die Grundfarben wie transparente Flächen überlagern und interessante Farbmischungen erzeugen. Im Laufe seiner langen

Geschichte avancierte das Karomuster dank einer sich bis in die Mode der Gegenwart fortschreibenden Doppelcodierung sowohl zum Zeichen der Rebellion (Highlanders, Punk)

als auch zum textilen Symbol für Traditionsverbundenheit.

Hatte Hornung schon seit Jahren ehre frei in Holzarbeiten und Papierdrucken mit sich immer wieder ins Unregelmäßige auflösenden Rasterstrukturen experimentiert, so macht er dieses an sich so schlichte wie strenge Prinzip nun zum Ausgangspunkt einer eigenen Versuchsreihe, unterwirft seine bisherige Arbeitsweise selbst einem auf Präzision und Berechnung beruhenden Strukturgesetz.

 

RELIEFS

Die etwa eine Hand starken Reliefarbeiten erscheinen monochrom, sie leben farblich vom Hell-Dunkel, das in  der Verdichtung und Lockerung eingefräster Linien auf naturbelassenem Holz entsteht. Sie sind Deutungen des Karomusters auf der Grenze zwischen Fläche und Raum, erforschen den Übergang von Zeichnung zur Skulptur. Was im Textil ein gesponnener Faden war, ist jetzt zur grafischen Spur transformiert. Aus größerem Abstand betrachtet erscheinen manche dieser Arbeiten wie Stoffe, auf denen helle Linien schweben, andere wirken zunächst wie Zeichnungen. Aber anders als dort definieren die mit dem Winkelschneider ins Holz gezogenen Linien zusätzlich eine negative Räumlichkeit: Aus der Nähe zeigt sich, dass die gewebten Fäden als Einkerbungen, Ritzungen und Furchen deuten.

Ihre Farbigkeit variiert je nach Technik zwischen dunkelsten Brandspuren und helleren Einschnitten. Sind die Linien sehr eng nebeneinander gesetzt, erzeugen sie hell hervorstehende Grate und werden ihrerseits wieder zum Hintergrund.

 

Hornung bearbeitet organisches, gewachsenes Material. Er kontrolliert das mit „Natur“ assoziierte Unregelmäßige, Chaotische, Unwiederholbare mit einer vom Menschen technischen herstellbaren Regelmäßigkeit und Reproduzierbarkeit, durchschneidet Jahresringe mit rechtwinkligen Rastern. Die gute Formbarkeit der organischen Bildträger benutzt er dabei, um seine Adaptionen der textilen Struktur in unterschiedlicher Weise optisch in Bewegung zu setzen. Dies reicht von einer glattgeschliffenen großen Konkav-Krümmung über Arbeiten, in denen sich die Rasterlinien durch unterschiedlich tiefe Wellentäler ziehen, bis hin zu kleinen, an leichte Windbewegung auf Wasser erinnernde Schlagbeitelspuren. Aus Starren Liniennetzen werden bewegte Raster, die im Nachvollzug der topografischen Wellen des Untergrunds diesen für den Blick des Betrachters erst definieren. Es entstehen dabei Effekte, die an die art cinétique vonOp-Art Künstlern wie Viktor Vasarély oder Yvaral erinnern: Wo die Gitterlinien sich verdichten, scheint sich der Raum zusammenzuziehen, wo sie breiter werden, sehen wir Ausbuchtungen, und die Gitter beginnen, die Fläche optisch in Räumlichkeit zu transformieren.

Hornung schlägt an diesem Punkt jedoch in eine andere Richtung ein. Er kombiniert die Möglichkeiten der rein optischen Bewegung mit der plastischen Modellierung des Bildträgers , überlagert die visuellen Wölbungseffekte mit realen Wölbungen und Vertiefungen der Holzplatte, die dort in wilder Unregelmäßigkeit eingearbeitet sind.

Beim genauen hinsehen negieren diese Gitterstrukturen ihre auf den ersten Blick behauptete Regelmäßigkeit und setzen sich bewusst von der mathematischen Präzision und Perfektion ab, die noch für die Op-Art-Experimente des letzten Jahrhunderts charakteristisch war.

Auch der mit dem Tartanmuster verbundene Anspruch auf Regelmäßigkeit in der Wiederholung zeigt sich hier gleichsam auf den Kopf gestellt als Verneinung durch Unterwanderung. Statt kunsthandwerklich Linien abzuzählen, liefert Hornung eine freie, subtil eigenwillige Adaption der Vorlage. Bewusst verzichtet er dabei auf maschinell verbriefte Vollkommenheit und lässt jede einzelne seiner freihändig nebeneinander ins Holz gezogenen Linien durch minimale Abweichungen sich subversiv der abstrakten Regel widersetzen.

An der Gestaltung der Bildränder als Übergangszonen zwischen Kunst und Umgebung lässt sich ein weiterer, eher philosophischer Aspekt diese Hinterfragung abstrakter Regelhaftigkeit anschaulich machen. An den Rändern nämlich lesen wir die Form des Objekts ab. Hier suggerieren sie dem Betrachter zunächst: „ein Quadrat“.  Dann, aus der Nähe gesehen zeigen sie sich aber stark gezackt, ausgefranst oder scheinen weich wie ein Kissen die  Arbeit buchstäblich abzurunden. Der Begriff “Quadrat“ wird damit als reine Abstraktion, als pure gedanklich-sprachliche Leistung des Betrachtergehirns  enttarnt und von der Wirklichkeit konterkariert. Dieses Erkennungsmoment ist verantwortlich für das eigentümliche Schwanken, das für die  Wirkung von Hornungs Arbeiten charakteristisch ist. Es ist ein Schwanken zwischen Abstraktion und ihrer gleichzeitigen Negation durch die Wirklichkeit: wir denken, wir sähen Linien und Form – und erkennen bei näherer Betrachtung, dass keine Linie im abstrakten Sinne gerade ist, keine Form mathematisch präzise, die Wirklichtkeit nicht das Ideal.

Die Versuchsreihe diese Arbeiten verweist den Betrachter auf die unendliche Zahl der Möglichkeiten, die Begegnung von Abstraktion und Wirklichkeit zu gestalten – sowohl bezogen auf die Serie als auch auf die einzelnen Arbeiten. Um letztere in ihrer Vielschichtigkeit zu erfassen, muss der Betrachter sich allerdings selbst in Bewegung setzen, muss seinen Standort immer wieder verändern. Aus der Distanz erkennt er dann zuerst nahezu flächige Rasterzeichnungen, dann textil anmutende Topografien mit einer eigentümlichen doppelten Räumlichkeit, ganz nah herangezoomt, moderne urbane Landschaften mit Häusermeeren und tiefen Straßenfluchten mit perspektivischer Sogwirkung.

 

HOLZSCHNITTE

 

Auch in den Holzschnitten begegnet uns die ordnende Rasterstruktur des Tartan in unterschiedlichen Graden der Auflösung ist. Ist das chaotische Moment im Relief unter anderem die bewegte Modellierung des Bildträgers so erzeugt der Holzschnitt die farbliche Überlagerung verschiedener Zustände unberechenbare, überraschende Wirkungen.

Jede dieser Arbeiten ist ein Unikat – entgegen der prinzipiellen Reproduzierbarkeit, die wir sonst mit der Gattung assoziieren, stellt Hornung keine Editionen her.

Um dem Zufall Raum zu geben, arbeitet er nach eigener Aussage gerne schnell. Die Ergebnisse lassen sich höchstens skizzenhaft vorausplanen. Dafür kommt ihm die Komplexität der Drucktechnik entgegen, bei der Schicht für Schicht immer eine Positiv-Negativ-Umkehrung mitgedacht wird. Was im Druck als weiße Linie erscheint ist eine Einritzung auf der Druckplatte und damit der ort, an dem keine Farbe ist. Umgekehrt können die Grate zwischen einzelnen Linien, wie bei den Reliefs, in einer weiteren Umkehrung wieder selbst als Linien erscheinen. Kommen mehrere Farben hinzu, entsteht ein reizvolles Verwirrspiel aus positiven und negativen Linien, das nur schwer nachvollziehbar ist.

Um Unregelmäßigkeit und Erosionseffekte zu erreichen, variiert Hornung beim Drucken die Durcharbeitung, fügt Aussparungen ein und kombiniert unterschiedliche Druckplatten. Wie bei den Reliefs zeigt sich auch bei den Papierarbeiten die Auflösung der Ränder als Dialog der künstlerisch bearbeiteten Fläche mit seiner Umgebung, bei dem der vom Format abstrakt behauptete Anspruch auf Abgeschlossenheit wieder zur Disposition steht.

 

Lassen die bildhauerischen Arbeiten eine Nähe zur Zeichnung erkennen, so überraschen Hornungs Holzschnitte oft in ihrer räumlichen Wirkung. Sie ergibt sich aus der Überlagerung transparenter Farbschichten und der optischen Suggestion der Linien. Bei manchen scheinen die verschiedenen Farbschichten geradezu übereinander zu schweben, bei anderen deutet unser Auge die sich graduell verdichtenden Gitterlinien als Markierungen eines sich hinter dem Bild fortsetzenden Raums. Insbesondere bei den monochrom schwarzen Drucken entsteht eine weitere Art der Räumlichkeit in der Nahsicht, wenn wir erkennen, dass die obere Farbschicht auf der unteren erhaben aufsitzt – eine Vorstufe zum Relief.

Auch hier also arbeitet Mathias Hornung im Grenzbereich zwischen Fläche und Raum – oder dem, was wir im Alltag darunter verstehen. Denn auch wenn man zur leichteren Verständigung  noch von zwei, drei und vier Dimensionen spricht, so ist doch seit Einsteins Entdeckung der Relativität von Zeit und Raum wissenschaftlicher Konsens, dass sich die Dimensionen nicht unabhängig von einander betrachten lassen. Die Relativitätstheorie beeinflusste Künstler wie Duchamp, Fuller, Cage und Rauschenberg. Der Cage-Schüler und Fluxus-Künstler Dick Higgins erkannte in der traditionellen Trennung von Zeichnung und Skulptur das historische Erbe der Renaissance, einer auch im Gesellschaftlichen von klaren Unterscheidungen bestimmte Zeit. Er prägte 1966 den Begriff der Intermedialität für die zeitgenössische Kunst, in der sich diese klaren Abgrenzungen zunehmend aufzulösen begonnen hatten.1

Hornungs Arbeiten erweisen sich aus dieser perspektive als Beiträge zur Kunst des space-time-Zeitalters, es sind Experimente, deren Ergebnisse erfahrbar machen, dass Begriffe wie „Skulptur“, “Relief“, „Zeichnung“ und „Druck“  letztlich Abstraktionen sind, bloß mentale Konstrukte zur besseren Verständigung. Im Grenzbereich zwischen den alten Kunstgattungen erforscht er mit der vorliegenden Versuchsreihe unter Vorgabe des Tartan-Musters das Wesen der geometrischen Abstraktion und kommt zu Ergebnissen, die mit der Entdeckung der Fraktale im Einklang stehen: so, wie sich in den dem Beispiel Benoit Mandelbrots von 1975 die Umrisslinie der Küste von England in mikroskopischer Skalierung ins Unendliche Verlängern lässt, ist auch die Flächigkeit eines Drucks oder einer Zeichnung nur abhängig vom Standpunkt des Betrachters gegeben, kann eine ins Holz geritzte Linie zur Straßenflucht werden.



Metamorphe: Neue Skulpturen

 

 

Mit seiner neuen Serie von Skulpturen erweitert Mathias Hornung seine Beschäftigung mit den Liniengesetzen des schottischen Tartan-Musters in den Bereich der dritten Dimension. Fast wie in einem Daumenkino lässt sich diese Entwicklung Schritt für Schritt an der Folge der einzelnen Arbeiten nachvollziehen. Aus subtiler Subversion wird offenes Durchbrechen, Auflösen und Überwinden von Ordnungsstrukturen. Wir werden Zeugen einer Metamorphose von Rasterzersetzung und –Überwindung, an deren Ende die Linie, die das konstitutive Element der Ausgangsarbeiten war, völlig obsolet geworden ist.

An ihre Stelle tritt das Amorphe, das Unförmige, das sich jeder linearen Umschreibung widersetzt. Auch in der Farbigkeit lösen sich diese Holzskulpturen mehr und mehr aus der authentischen organischen Materialität und erscheinen als Mimikry von Metall- und Steinarbeiten. Sie könnten auch als eine Dokumentation sich verändernder Aggregatzustände gedeutet werden, gerade noch heiß und flüssig, jetzt erstarrt wie Lava an der Luft. Nicht zufällig erinnern manche dieser Objekte auch an Meteoriten. Ihnen eignet eine Formlosigkeit, die keine irdische Gravitation, kein Oben und Unten kennt, sie können so oder auch anders da liegen. Das Gesetz der quadratischen Form, das sowohl die Holzschnitte als auch die Reliefs bestimmt hatte, ist in einigen der flacheren Arbeiten noch deutlich zu erkennen, in anderen scheint es aber - über den Zwischenschritt des mehr oder weniger deformierten Kubus – völlig überwunden.

Nachdem der  Künstler in den Tartan-Reliefs noch eine reizvolle Spannung zwischen optischen Täuschungs-Effekten und der bewegten Oberfläche erzeugt hatte, macht er in diesen neuen Arbeiten – bei allen Reminiszenzen dieser an die art cinéthique erinnernden Verfahren – Ernst mit dem Raum und setzt geritzte Linien wieder eher als Oberflächenzeichnung ein.

Auf das gesamte Werk bezogen, schließt sich mit diesen Arbeiten ein Kreis zu den architektonischen Kleinskulpturen (2007-2010), die mit ihren Rasterungen, Schichtungen und rhythmisierten Einschnitten die Tartan-Serie vorbereitet hatten. Im Vergleich zeigt sich jedoch bei den aktuellen Arbeiten eine spürbare Dynamisierung der Formsprache, die in noch deutlicherer Weise den Kontrast von Naturformen und menschengemachter, technischer Eingriffe thematisieren.

Mit ihrer Kontrastierung schließlich von Oberflächenglätte und schon schmerzhaft-scharfkantiger Rauheit passen diese Arbeiten als Sichtbarmachung von allgegenwärtigen Tendenzen perfekt in eine Gegenwart, in der immer glattere Oberflächen einer von vielen Menschen als zunehmend rauh und bedrohlich empfundenen Wirklichkeit gegenüberstehen.

 

 

Mathias Hornung stößt den Betrachter seiner künstlerischen Experimente auf die Widersprüche, die dem menschlichen Streben nach Perfektion innewohnen. Er zeigt, dass Vollkommenheit eine Abstraktion ist, relativ, immer nur in Annäherung zu gewinnen – und eine Frage der Perspektive. Das dem Tartan eingeschriebene Grundmuster des rechtwinkligen Gitternetzes erweist als ambivalentes Symbol unseres perfektionistischen Ordnungstriebs: Es gewährt zur Orientierung und Halt in einer als chaotisch und unberechenbar erlebten Welt – aber es verkörpert auch rigiden Zwang, Kontrolle und maschinenmäßige Unerbitterlichkeit. Kein Entkommen aus der Paradoxie. Und so drehen sich diese Arbeiten um all jene untrennbar miteinander verknüpften Oppositionen von Ordnung und Unordnung, Berechnung und Unvorhersehbarkeit, Konstruktion und Zerfall, Rigidität und Bewegung – Tradition und Rebellion.

 

 

Text : Almut Hüfler

 

 

1)

vgl. Dick Higgins, 1966, in Hannah B.Higgins: The Grid Book, Cambridge/MA 2009, S.264